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Der Schiffsjunge Parker

Wer mal nach Cornwall kommt, könnte das National Marine Museum besuchen. Dort kann man ein Rettungsboot besichtigen, mit dem ein schier unglaubliches Ereignis verknüpft ist:



Die Geschichte vom Schiffsjungen Parker, der als Schiffbrüchiger von seinen Begleitern getötet und verspeist wurde, ist seit ihrem Bekanntwerden immer wieder Gegenstand juristischer und ethischer Diskussionen.

Die juristische Sicht kann man hier gut nachvollziehen.
Nur soviel: Wahrscheinlich würden die Täter in Deutschland heute straffrei bleiben (§ 35 STGB).

Die Ethik bietet verschiedene Zugangsmöglichkeiten zu diesem Problem, insbesondere wenn es darum geht, gute Gründe für Handlungen zu finden. So haben sich ganze Theoriesysteme entwickelt. Deren Antworten zu dem Fall möchte ich hier skizzieren.

Der Utilitarismus würde in der Berechnung des Glücks der größtmöglichen Zahl sicher und ziemlich eindeutig die Tötung und das Essen eines anderen Menschen rechtfertigen. Schließlich werden drei Menschen gerettet. Die wahrscheinliche Alternative wären vier Tote gewesen.

Eine deontologische (Pflichten-) Ethik wie die von Immanuel Kant kann es grundsätzlich nicht akzeptieren, einen anderen Menschen zu töten. Das ergibt sich aus dem Kategorischen Imperativ, nach dem man nicht wollen kann, dass es in Situationen wie der des 17-jährigen Richard Parker eine Leitlinie des Handelns, ein moralisches Gesetz, geben kann, einen anderen zu töten und aufzuessen.

Aristoteles wäre mit seiner Tugendethik (Mesoteslehre, goldene Mitte) und der Leitidee der Vernunft nur eine mittelbare Hilfe. Eine konkrete und eindeutige Handlungsanweisung würde sich daraus nicht ergeben.

Hilfreich scheint eine über unmittelbare Handlungsempfehlungen hinausgehende Überlegung von Judith Butler zu sein. Sie bezweifelt, ob man in einer solchen Situation wirklich richtig handeln kann. Eine Handlungsempfehlung könnte man erst gar nicht abgeben. Das liegt daran, dass wir uns selbst, aber auch die anderen nicht wirklich kennen und einschätzen können. Wer soll schon wissen, wie man sich in einer solchen Extremsituation verhält? Wer könnte andere verurteilen, wenn sie unter solchen Extrembedingungen Fehler machen? Weil wir alle, so Butler, mit diesem Unwissen über uns selbst und andere belastet sind, sollten wir - und das wäre die grundlegende Haltung - anderen gegenüber nicht zu hart sein und ihre Fehlbarkeit mit einberechnen. Alles andere - die kühle Abrechnung mit Hilfe ethischer Systematiken (Utilitarismus, Deontologische Ethiken) wäre für Judith Butler "Ethische Gewalt".