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Wittgenstein und der "Kriminelle Ausländer"

Ludwig Wittgenstein hat in seinen späteren Arbeiten den Begriff des Sprachspiels entwickelt. Darin löst er den Begriff der Bedeutung von einer Substanz oder einem Wesen und macht ihn von seinem Gebrauch in konkreten sprachlich-sozialen Zusammenhängen abhängig. Ein Wort hat also keine feste Bedeutung, sondern erlangt sie in seiner Verwendung. Damit zusammenhängend wollen wir in der Regel auch etwas erreichen, mit dem, was wir sagen: Sprechen ist für Wittgenstein immer auch handeln.

Ein einfaches Beispiel:
Wenn mir etwas misslingt und ich mich selbst laut als "Tölpel" oder Schlimmeres beschimpfe, dann mag da psychologisch Einiges hineinzudeuten sein, sicher ist es aber eher ein Ausdruck des Misslingens und weniger eine Gesamtaussage über meine Persönlichkeit.
Wenn ich eine andere Person, mit der mich eine unangenehme Geschichte misslungener Kommunikation verbindet, direkt als "Tölpel" bezeichne, dann ist das ein anderer Zusammenhang und kann sehr wohl als Grundaussage über diese Person verstanden werden.
Die Bedeutung des Wortes "Tölpel" ergibt sich aus dessen Verwendung in der Sprache. Einmal ermahne ich mich, damit mir das nächste Mal nicht wieder etwas schief geht; im zweiten Fall gehe ich verbal aggressiv gegen eine Person vor (es ließen sich auch nonverbale Aktionen mit der gleichen Absicht vorstellen).

Ein anderes Beispiel ist der "kriminelle Ausländer" der zu Beginn des Jahres 2016 Teil des allgemeinen politischen und medialen Sprachspiels wird. Schauen wir in die Vergangenheit, dann war dieser Ausdruck - und zwar genau so - Teil eines Sprachspiels der NPD und anderer rechtsextremer Gruppierungen in Deutschland. Wer dort dazugehören wollte, nutzte diese Vokabel und mit ihr war die grundsätzliche Ablehnung von Ausländern und das gesamt rassistische Programm dieser Partei verbunden, was - wie wir alle wissen - unmittelbar handlungsauslösend war. Man denke nur an die Geschichte der Rechtsterroristen aus Jena, die diese Ideologie auf ihre Weise umgesetzt haben.

Wenn nun eine breite Öffentlichkeit - Regierung, Medien, Bürger - diese Formulierung "kriminelle Ausländer" übernimmt, dann könnte man hoffen, dass
sie damit lediglich Menschen meint, die - wie Deutsche - kriminell werden, gerade aber mal Ausländer sind, und deswegen strafrechtlich anders behandelt werden müssten. Dann würde im wittgensteinschen Sinn ein neues Sprachspiel mit neuen Bedeutungen und neuen Handlungskonsequenzen eröffnet.

Leider müssen wir aber befürchten, dass wie schon in anderen Fällen, Neonazi-Vokabular mit seinen Bedeutungskomplexen ganz oder teilweise durch die Formulierung  in breitere Schichten der Bevölkerung übernommen wird.
Die Verwendung des Wortes "Ausländer" (jeder ist Ausländer; wer ist gemeint: Schweizer, Engländer, Albaner?), das trotz seiner Ungenauigkeit sehr negativ konnotiert ist, war in den letzten Jahren deutlich zurückgegangen. Jetzt aber taucht es vehement und in allen Medien auch noch mit dem Adjektiv "kriminell" auf. Damit ist die Zielrichtung des neuen Sprachspiels klar.


"Der Philosoph behandelt eine Frage; wie eine Krankheit" (Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen)